Der Migräne die Show stehlen – aber wie?

Der Migräne die Show stehlen – aber wie?

Im Gespräch mit Chefarzt Dr. Jan Brand

Meiningen:
Migräne – der Schmerz, der so manchen Patienten zum Wahnsinn treibt. Kopf- und Migräneschmerzen haben sich wie eine Volksseuche in Deutschland verbreitet. Doch: Niemand muss ihr schutzlos ausgeliefert sein.

Dr. Jan Brand, Chefarzt der Migräne- und Kopfschmerzklinik Königstein im Taunus, hielt einen Vortrag über Ursachen, aktuelle Studien, neue Wege in der Migräne-Vorbeugung und moderne Behandlungsmöglichkeiten.

Dr. Brand, was sind die Ursachen der Migräne?

Migräne ist eine genetische Veranlagung. Sie wird uns quasi in die Wiege gelegt. Die chronisch neurologische Erbkrankheit kann ausbrechen zum Beispiel durch die Pubertät, durch Prüfungsstress, durch die Geburt des Kindes, durch tragische Erlebnisse. Einhergehend mit falschem Umgang mit Stress, falscher Ernährung sowie Wetterwechsel. Jeder Mensch hat so seinen Schwachpunkt. Ich zum Beispiel kann keine Migräne bekommen, weil in meiner Verwandtschaft niemand Migräne hat. Dafür sind bei uns Magenprobleme verbreitet – also bin auch ich dafür anfällig.

Die Literatur berichtet von rund 100 verschiedenen Arten von Kopfschmerzen. Wieviele Arten von Migräne sind bekannt?

Drei. Migräne mit Aura – einhergehend mit Seh- und Sprachstörungen. Migräne ohne Aura – also ohne Sprach- und Sehstörungen, dafür ist der Patient lärm- und lichtempfindlich, klagt über Übelkeit. Und es gibt die chronische Migräne – Betroffene sind von ihr mehr als 15 Tage im Monat geplagt.

Wie kann man dem Albtraum Migräne entgegenwirken?

Die Zeit, die Sie sich für sich selbst nicht nehmen, die holt sich die Migräne. Oder anders gesagt: Wenn ich gut zu mir bin, ist auch die Migräne gut zu mir. Migräne ist nicht heilbar. Man kann ihr aber gezielt entgegenwirken. Wir in der Migräne- und Kopfschmerzklinik betrachten den Patienten ganzheitlich. Wir beziehen das gesamte Spektrum naturheilkundlicher Möglichkeiten in unsere Therapie mit ein, auch Akupunktur und Homöopathie, Massagen, Entspannungsübungen wie Muskelentspannung nach Jacobson, die Umstellung der Ernährung, Stressmanagement, Verhaltenstherapie und dergleichen mehr. Und vor allem: Die Patienten müssen lernen, Nein zu sagen.

In sich hineinhören und auf die Wünsche des eigenen Körpers eingehen, um das Wohlbefinden zu steigern, das scheint die Zauberformel zu sein für ein Leben mit Migräne, ohne dass diese Stoffwechselstörung im Gehirn die Oberhand bekommt. Wie aber können Betroffene an Hilfe zum Beispiel in Ihrer Klinik kommen?

Sie müssen einen entsprechenden Antrag zur Vorsorge- und Rehabehandlung an ihre Krankenkasse stellen. Sollte die den ablehnen, dann Widerspruch einlegen! Und wenn es sein muss, wieder und wieder. Drei bis vier Wochen bleiben die Patienten dann in der Klinik, die Kassen zahlen voll. Wir halten 60 Betten stationär vor und betreuen dort rund 800 Patienten im Jahr. Darüber hinaus können sich Betroffene in unserer Schmerzambulanz vorstellen.

Nun verschreiben viele Ärzte bei Anzeichen von Migräne mit Vorliebe zuallererst Schmerzmittel. Die chemische Keule wird höher dosiert, gehen die Schmerzen nicht weg. Alles keine befriedigende Lösung für den kopfgeplagten Patienten 

Nein, sicher nicht. Eine solche Reaktion ist aber schlimm. Um so wichtiger ist es, aufgeklärt zu sein rund um Migräne und Co. Es kommen nicht wenige Menschen zu uns zum Entgiften – eben weil sie immer mehr Tabletten schlucken, die Dosen erhöhen, weil die ursprüngliche Medikation nicht mehr hilft.

Sie sagten: Migräne ist nicht heilbar. Allerdings hört man immer wieder von Frauen, die in der Menopause ihre jahrzehntelange Migräne verlieren …

Ja, das kommt vor. Migräne kann aber auch mal zehn Jahre Pause machen, bevor sie wieder auftritt. Auslöser können dann der plötzliche Tod eines geliebten Menschen sein, ebenso extremer Stress. Sie müssen sich die Migräne wie ein großes Fass vorstellen. Wenn  zum Beispiel ein falscher Biss (Kiefergelenk) als Stressfaktor zum gewöhnlichen Alltagsstress hinzukommt, reagieren Sie schneller mit einer nächsten Migräne. Wird der Biss erfolgreich korrigiert, dann kommt dieser Teil aus der Tonne heraus, entfällt ein Hauptstressfaktor und Sie haben mehr Reserven, den Alltagsstress auszugleichen. Dennoch bleiben andere Teile im Fass erhalten. Eben weil es erbliche Anlagen sind. Nichtsdestotrotz ist der gelernte Umgang mit Stress die Bedingung, dass Sie die Migräne im Griff haben und nicht die Migräne sie.

http://www.fwmeiningertageblatt.de/nachrichten/meiningen/art2799,901024